Wie zugänglich und budgetfreundlich ist eine vegane Ernährung? // Interview mit Niko Rittenau

Niko Rittenau ist Bestsellerautor, Youtuber, Speaker und Seminarleiter - als ausgebildeter Ernährungswissenschaftler und Koch klärt er Vorurteile rund um den Veganismus auf und vermittelt wichtiges Wissen zu einer nährstoffreichen veganen Ernährung auf eine praktische Art und Weise. Sein neustes Buch "Vegan Low Budget", das in Zusammenarbeit mit Sebastian Copien entstand, liefert viel Inspiration für eine budgetfreundliche, aber dennoch vielseitige vegane Ernährung.
Ich habe Niko zum Interview gebeten rund um das Thema Zugänglichkeit einer veganen Ernährung.

Was waren deine Beweggründe vegan zu werden?           
Ich bin 2013 aus tierethischen Gründen vegan geworden. Der Veganismus ist im Kern auch eine tierethische Bewegung. Dass eine vegane Ernährung bei guter Planung auch nachhaltiger als eine durchschnittliche westliche Mischkost ist und gesundheitsfördernd sein kann sind natürlich tolle Nebeneffekte. 

Dein Buch «Vegan Klischee ade» deckt viele Vorurteile gegenüber dem Veganismus auf. Hattest du selber Vorbehalte bevor du vegan wurdest?            
Oh ja! Als ich mich 2013 dafür entschieden habe vegan zu leben habe ich deshalb auch begonnen ein Bachelorstudium in Ernährungsberatung zu machen, weil ich jede Menge Vorurteile und Unsicherheiten hatte. Daher habe ich auch großes Verständnis für alle Leute, die Vorurteile haben und aus diesem Grund schreibe ich Bücher, drehe YouTube-Videos und halte Vorträge: Ich zeige darin anhand der wissenschaftlichen Datenlage, dass man sich bei richtiger Umsetzung in jeder Lebensphase vegan ernähren kann und worauf man achten muss.

Mit welchen Vorurteilen siehst du dich noch am häufigsten konfrontiert von anderen Menschen bezüglich einer veganen Ernährung?      
In meinem neuen Buch «Vegan ist Unsinn» (Achtung, ironischer Titel) beschäftige ich mich mit den häufigsten falschen Vorurteilen gegen eine vegane Ernährung. Daher war ich in den vergangenen Monaten quasi rund um die Uhr von falschen Vorurteilen umgeben. Menschen denken immer noch, dass man nur über Kuhmilch genügend Kalzium bekommt, dass man zwingend Fisch als Jod- und Omega-3-Quelle braucht und ohne rotes Fleisch einen Eisenmangel bekommt. Tierische Lebensmittel haben aber kein Monopol auf Nährstoffe. Dennoch muss man natürlich wissen, woher man die einzelnen überlebensnotwendigen Nährstoffe bekommt. 

Wieso denkst du, dass so viele Vorurteile vorherrschen bezüglich einer veganen Ernährung?  Glaubst du, dass gewisse Menschen sich durch den Veganismus bedroht fühlen und dadurch ein Abwehrverhalten an den Tag legen, um vom eigentlichen Problem abzulenken?
Der sogenannte Bestätigungsfehler (Confirmation Bias) ist ein gut bekanntes Phänomen: Menschen neigen dazu, jene Informationen, die ihr eigenes Weltbild vertreten verstärkt wahrzunehmen und jene Informationen, die Gegenteiliges sagen eher abzuweisen. So können sich falsche Vorurteile über lange Zeit in der Gesellschaft halten. Essen ist ja ein sehr persönliches Thema und da können Diskussionen schnell emotional werden. Ich versuche hier ein Gegenpol zu sein und unaufgeregt die Faktenlage zu zeigen, damit wir als Gesellschaft fundierte, ethische und nachhaltige Konsumentscheidungen treffen können.

Wie geht man als Veganer am besten mit Vorurteilen um?          
Indem man sie höflich, freundlich und fundiert widerlegt.

Bei einer Umstellung auf eine vegane Ernährung hat man oftmals mit Widerstand von Freunden und Familie zu rechnen. Wie geht man am besten damit um, hast du irgendwelche Tipps für Neuveganer?    
Dr. Melanie Joy hat ein gutes Buch namens «Beyond Beliefs» (aktuell nur in englischer Sprache) dazu geschrieben. Das sollte man als Neuveganer unbedingt lesen. Alle ihre Bücher sind klasse! Generell gilt aus meiner Sicht: Vorleben und informieren anstatt auf die Nerven gehen. 

Vorleben und informieren anstatt auf die Nerven gehen. 

Niko Rittenau

Vegane Ersatzprodukte sind im Schnitt deutlich teurer, als die nicht-veganen Pendants. Was glaubst du woran das liegt?    
Das hat mehrere Gründe: Produktionsmengen, Infrastruktur, Besteuerung, Löhne, Marge, etc. Es ist aus meiner Sicht aber nur eine Frage der Zeit, bis vegane (Ersatz)Produkte preiskompetativ werden. Außerdem darf man nicht vergessen, dass viele tierische Produkte absurd günstig im Supermarkt angeboten werden und die versteckten Kosten dieser Produkte durch Umweltschäden von zukünftigen Generationen an anderer Stelle bezahlt werden. «Billigfleisch» gibt es nicht. Es mag an der Kasse günstig sein, aber wenn man alle versteckten Kosten einberechnet ist es plötzlich gar nicht mehr billig. Außerdem werden dafür nicht nur Tiere, sondern auch Arbeiter ausgebeutet.

«Veganismus ist ein Privileg, das nicht für alle zugänglich ist» – was sagst du zu diesem Argument? Ist Veganismus tatsächlich ein Privileg?            
In gewissem Sinne ja. Erst wenn man einen Lebensstandard hat, bei dem man selbst nicht mehr um das eigene Überleben fürchten muss, kann man es sich leisten sich auch um andere zu kümmern. Es gibt durchaus Menschen auf der Welt, die dieses Privileg leider noch nicht haben. Die meisten Menschen, die derartige Aussagen bringen zählen allerdings nicht dazu und in westlichen Ländern kann sich so gut wie jede Person auch mit sehr kleinem Budget eine vegane Ernährung leisten. Veganismus ist kein Luxusproblem, sondern der überbordende Konsum tierischer Produkte, der auf Kosten der Tiere, der Umwelt und der Weltgesundheit geht.

Veganismus wird des Öfteren kritisiert, dass es sich zu sehr auf das Tierwohl fixiert und andere Themen außer Acht lässt. Wie siehst du das? Ist diese Kritik deiner Meinung nach gerechtfertigt?  
Ich habe dazu auch ein Kapitel in «Vegan ist Unsinn» mit dem Namen «Veganern ist Tierleid wichtiger als menschliches Leid». Das ist aber quatsch. Menschen sind ja Tiere. Der Mensch (Homo sapiens) ist nach der biologischen Systematik ein Vertreter der Gattung Homo aus der Familie der Menschenaffen, die zur Ordnung der Primaten und somit zu den höheren Säugetieren gehört. Auch wenn sich ein großer Teil der Bestrebungen der veganen Bewegung zum aktuellen Zeitpunkt auf das Wohl nicht-menschlicher (Nutz-)Tiere konzentriert so liegt das in erster Linie daran, dass kaum eine anderen Gruppierung sich für diese Tiere einsetzt. Aber natürlich sollten sich vegan lebende Menschen, so wie alle anderen auch, deutlich zu Themen wie Rassismus und Sexismus positionieren und jede Form der Unterdrückung ablehnen.

Es ist aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit, bis vegane (Ersatz)Produkte preiskompetativ werden.

Niko Rittenau

Muss man bei einer veganen Ernährung auf Superfoods zurückgreifen, um auf alle wichtigen Nährstoffe zu kommen?         
Nein, muss man nicht. Zum Thema der Nährstoffbedarfsdeckung bei veganer Ernährung habe ich zahlreiche Videos auf meinem YouTubekanal wie zum Beispiel die dreiteilige Videoreihe «Diese Nährstoffe sind bei veganer Ernährung WIRKLICH kritisch».

Veganismus geht oftmals mit dem Verwenden eines grösseren Anteils biologischer Lebensmittel einher, was sich nicht jeder leisten kann. Muss man als Veganer bio kaufen, um sich gesund zu ernähren?            
Nein, nicht zwingend. Ich habe zum Thema Bio auch ein neues Video veröffentlicht in dem ich alle Details dazu bespreche.

https://www.youtube.com/embed/0ZiO3xFZCBY

Was denkst du, woher kommt dieser Glaube, dass eine vegane Ernährung teuer ist? 
Ich denke es ist zum einen darauf zurückzuführen, dass einige Ersatzprodukte wie vorhin gesagt wirklich noch sehr hochpreisig sind und viele tierische Produkte aus der Intensivtierhaltung unverschämt günstig sind. Zum anderen hat es aber auch damit zu tun, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass man sich auch vollwertig, preiswert und nährstoffbedarfsdeckend ganz ohne diese Ersatzprodukte ernähren kann. Vegane Grundnahrungsmittel wie Getreide, Hülsenfrüchte sowie (tiefgekühltes) Obst und Gemüse sind günstig und mit den richtigen Rezepten kann man für unter 5€ pro Tag drei vegane Hauptmahlzeiten zubereiten. Das zeigen wir auch in unserem Kochbuch «Vegan Low-Budget».

Veganismus ist im Trend, aber dennoch leben erst zwischen 1,4–3 % in Deutschland vegan.  Was denkst du, woran das liegt?         
Das ist korrekt. Das größte Wachstum wird nicht bei den 100%igen Veganer*Innen verzeichnet, sondern bei den Flexitarier*Innen. Also bei jenen Leuten, die bewusst ihren Konsum tierischer Produkte reduzieren, aber noch nicht ganz vegan leben. Im ersten Moment ist es für das Tierleid und die ökologischen Folgen aber egal, ob sich halb Deutschland vegan ernährt oder ob in ganz Deutschland alle Menschen ihren Konsum tierischer Produkte um die Hälfte reduzieren. Letzteres ist aber in den kommenden Jahren deutlich wahrscheinlicher. Langfristig würde natürlich das erste Szenario mehr verändern können. Letztendlich passiert aber gerade viel gleichzeitig: Mehr Menschen werden rein vegan oder vegetarisch und viele Menschen reduzieren bewusst ihren Konsum tierischer Produkte. Das alles unterstützt dasselbe Ziel und von Jahr zu Jahr wird es leichter sich alltagstauglich vegan ernähren zu können und so sinkt auch die Hemmschwelle, die aktuell denke ich noch einige Menschen von einem kompletten Umstieg abhält. 

Wie kann man, deiner Meinung nach, den Veganismus mehr Menschen zugänglich und/oder «schmackhaft» machen?
Mit leckeren Rezepten für zu Hause und gut verfügbaren, preiswerten und schmackhaften Convenience-Produkten im Supermarkt. In Verbund mit Aufklärung zu den ernährungsphysiologischen Aspekten unserer Ernährung und darüber welche Ungerechtigkeiten in den Tierfabriken (sowohl bei Menschen als auch Tieren) stattfinden können wir eine positive Veränderung in unserer Gesellschaft bewirken.

«Veganismus ist kein Luxusproblem, sondern der überbordende Konsum tierischer Produkte, der auf Kosten der Tiere, der Umwelt und der Weltgesundheit geht.»

Niko Rittenau

Welche Tipps hast du, um eine vegane Ernährung Budget freundlich zu machen?
Ich habe in unserem Kochbuch «Vegan Low-Budget» 3 Spartipps erklärt, mit denen man den eigenen Nährstoffbedarf preisgünstig vegan decken kann. Zu jedem der drei Spartipps gibt es auch ein YouTube-Video mit allen Details. Die drei Spartipps lauten: «Lebensmittelverschwendung reduzieren und dabei Geld sparen», «Preise vergleichen und Angebote nutzen» und «Keimen – die meisten Nährstoffe pro Cent»

https://www.youtube.com/embed/iVYBX7Wb4zo

Was sind deine „budget friendly staples“ in der Küche? Worauf greifst du gerne zurück
Eine gute Auswahl an getrockneten Hülsenfrüchten (Mungbohnen, Kidneybohnen, Linsen etc.), Getreiden (Haferflocken, Couscous, ganzer Dinkel etc.), Vollkornpasta, Kerne (Sonnenblumenkerne, Sesam, Kürbiskerne etc.), Obst und Gemüse im Tiefkühlfach sowie Pflanzenmilch und Tofu (natur und geräuchert) sind gute und preiswerte Staples.

Was sind deine liebsten low-budget Gerichte?      
Ich mag wirklich alle Low-Budget Gerichte von Sebastian aus unserem gemeinsamen Buch sehr gerne, aber wenn ich einen Favoriten nennen müsste, würde ich mich vermutlich für das Bohnen-Pilz-Gulasch mit böhmischen Knödeln entscheiden. Auch dazu gibt es ein Kochvideo auf YouTube mitsamt dem Rezept in der Videobeschreibung.

Welche Tipps hast du für Neuveganer? Gibt es etwas das man als Neuveganer besonders beachten muss?
Am besten ein kostenloses veganes Einsteigerprogramm wie die «Vegan Taste Week» der Albert Schweitzer Stiftung, die Veggie-Challenge von Proveg oder den Veganstart von PETA machen. Dort bekommt man jede Menge Infos und Rezepte für den Umstieg.

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